5.1 - Schere, Stein, Papier - Part 2

 

       Wie lange war es her, seit er das letzte Mal in einem Pool gebadet hatte?


     Tedd stand im Poolraum und betrachtete nachdenklich die glänzende Wasseroberfläche des frisch aufgefüllten Pools, den Billy beim Mittagessen erwähnt hatte. Der Raum befand sich im linken Flügel des Hauses und diente im Sommer als freie Terrasse. Jetzt, in der Winterzeit, ähnelte er einem tropischen Garten. Dutzende Pflanzen aus dem Garten wurden hier untergebracht, um vor der Kälte geschützt zu werden; man konnte einige starke Duftnoten von Eukalyptus und Minze wahrnehmen. Zwei Schiebewände, die im Sommer wohl abgebaut wurden, waren aus Glas und boten Tedd einen wunderschönen Blick auf den weißen, verschneiten Garten, der im kalten Licht der Nachmittagssonne glitzerte.
     Der Pool war groß, sehr groß sogar und hatte eine unregelmäßige, ovale Form, mit einem kleinen Wasserspeier in der Mitte, der an einen Ziegenkopf erinnerte. Tedd kniete sich an den Rand und beugte sich ein wenig über den Pool. Er ließ seine Finger durchs Wasser gleiten und betrachtete danach sein Spiegelbild im Wasser.

Der kleine Dominik spiegelt sich im Wasser wieder XP
Der kleine Dominik spiegelt sich im Wasser wieder XP

 

    Als Kind hatte er viel und oft geschwommen. Er hatte das Wasser geliebt. Nach den Misshandlungen seines Stiefvaters, der ihm Zigarettenabdrücke auf seinem Rücken hinterließ, welche sich mit der Zeit in kleine Narbe verwandelten, hatte er sich jedoch immer weniger getraut, sich oben ohne der Öffentlichkeit zu zeigen, bis er schließlich den Schwimmverein, in dem er tätig war, verlassen hatte und seitdem nur sehr selten das Verlangen nach diesem Sport verspürte. In den drei Jahren seiner größten Erfolge als Tedd Jigsaw, der Superstar, hatte er auch kaum Urlaub am Meer gemacht, um sich nicht entblößt zeigen zu müssen; kaum einer hatte damals von seinen Narben gewusst. Bei den Auftritten, die ein sexy und knappes Outfit verlangten, trug er immer eine dicke Schicht Spezial-Make-up auf dem Rücken.. Erst der Mordprozess im Sommer hatte die Wahrheit über ihn enthüllt.
     Im Raum neben ihm erklang plötzlich ein Piepsen und das Rattern, welches bis jetzt zu hören war, verstummte. Kou war fertig mit dem Training und verließ den Fitnessraum, der mit dem Poolraum durch eine Glastür verbunden war. Mit einem Handtuch um den Hals kam er auf Tedd zu. Er wusch sich damit den Schweiß aus dem Gesicht. Er sah fit aus; als Tedd ihm vorhin beim Lauftraining zugesehen hatte, hatte Kou bereits ca. 15 Kilometer bewältigt. Das Training schien er sehr zu genießen, er hatte einst zu Tedd gesagt, dass das Laufen ihn befreie, weil er dabei an nichts denken müsse.

     "Wieso bist du hier?", fragte er Tedd. "Gehen dir Billys Worte nicht aus dem Kopf?"
    "Ja", antwortete Tedd. "Und nein. Ich wollte mir einfach nur diesen Raum anschauen." Das war nicht gelogen. Es war nur ganz natürlich, dass die Gedanken ans Schwimmen automatisch kamen, wenn er einen Pool sah.
    Kou schaute ihn etwas länger als sonst an. "Wenn du doch ein wenig schwimmen möchtest, nur zu. Du brauchst keine Angst vor Billy zu haben."
    "Ich habe keine Angst vor ihm", sagte Tedd. Er runzelte die Stirn, als er sich daran erinnerte, was am Mittagstisch vorgefallen war. "Und ich möchte dich bitten, dich das nächste Mal zurückzuhalten. Ich muss meine Kämpfe hier alleine ausfechten!"
     "Ich möchte aber nicht, dass du das tust!", meinte Kou. "Jedenfalls nicht alleine."
     "Ich will es aber!" Tedd hob seine Stimme. "Oder traust du es mir nicht zu??"
     Kou schwieg und das reizte Tedd mehr als ein "Nein". Mit großen Schritten verließ er den Poolraum, und eilte durch einige Räume und Gänge des überaus großen Hauses, bis er schließlich - mit etwas Glück - die Eingangshalle erreichte. Dort holte er tief Luft und setzte sich auf die Treppe. Seine Gedanken kehrten zurück zum Mittagstisch.. und zu der Szene, die sich dabei abgespielt hatte.


     Nachdem Billy ihn mit der Bemerkung über seine Narben aus der Fassung gebracht hatte, hatte Kou mit der Faust auf den Tisch gehauen, was bedeutete, dass er so etwas weder hören, noch dulden wollte. Anschließend bat er Billy, ihren Gast mit Respekt zu behandeln. Sein Sohn erhörte seine Bitte, indem er Tedd fragte, ob er Freddy Krüger aus Nightmare on Elm Street kannte; was ein weiterer indirekter Hinweis auf seine Narben war. Bevor Tedd dazu kam, darüber nachzudenken, wie es dazu kam, dass ein Kind in Billys Alter solche Horrorfilme kannte, war Kou aufgestanden, hatte Billys Rollstuhl gepackt, ihn aus dem Zimmer hinausgeschoben und hatte auch noch die Tür hinter seinem Sohn geschlossen. Billy war im Flur sitzen geblieben.
     Schwer zu sagen, wer durch diese Aktion mehr im Schock war - Tedd, Ayaka, oder Billy selbst. Ayakas Gesichtsausdruck zufolge musste es das erste Mal überhaupt gewesen sein, dass Kou so etwas getan hatte. Auch Hiro blieb völlig perplex auf seinem Stuhl sitzen, zumindest bis Billys Schock vorüber war, und er in seinem Exil schrecklich zu fluchen anfing. Natürlich richtete sein Zorn sich gegen seinen Vater, dennoch merkte Tedd erstaunt, dass Billy trotz seiner Wut kein einziges Mal ein Schimpfwort gebrauchte, das mit dem Begriff "schwul" auch nur im Entferntesten etwas zu tun hätte. Billy hämmerte noch mehrmals gegen die Tür und rief dann nach dem Butler, der sie für ihn öffnen sollte, aber der war seltsamerweise nirgendwo aufzufinden.
     "Das wirst du sowas von bereuen, Tedd Jigsaw!!!", hörte man ihn noch hinter der Tür schreien, bevor er wegfuhr.
      Nachdem er weg war, atmeten alle etwas erleichtert aus. Keiner gab es zu, doch man hatte während Billys Anfall spüren können, wie die Luft um sie herum mit Angst erfüllt war, was das fluchende Kind wohl aushecken.. oder zertrümmern würde. Kou saß wieder am Tisch, den Kopf in seinen Händen, während er sich bei Tedd für Billys Verhalten entschuldigte. Ayaka wandte ein, dass das, was er Billy angetan hatte, unerhört war und verließ den Raum. Seltsamerweise nicht, um Billy zu trösten, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Einzig Hiro blieb am Tisch sitzen, bis sein Pieper zu summen anfing.  (Jawohl, er hatte einen Pieper, damit er für Billy jederzeit erreichbar war, wie Tedd erfahren musste.) Hiro entschuldigte sich und ging, wenig enthusiastisch, seinem "Herren" nach.
     "Kou, das war nicht klug!", meinte Tedd, als er mit Kou allein blieb.
     "Ich werde es ihm nicht erlauben, dir weh zu tun", sagte Kou, das Gesicht immer noch in den Händen und fuhr nach einer Weile verzweifelt fort: "Das war eine dumme Idee, dich herzubringen.. das war eine sehr.. sehr dumme Idee.."
     Tedd traute sich nicht, ihn zu umarmen. Er war sich nicht sicher, ob sie nicht heimlich beobachtet wurden. "Das war.. die beste Idee, die du jemals hattest", beruhigte er Kou. "Ich bin froh, hier zu sein. Es tut mir nur leid, dass Billy mich hasst.. und dass du nun meinetwegen Stress mit ihm haben wirst."
     Kou lachte traurig. "Ich?.. Warte nur ab. Du wirst derjenige sein, der als erster weint.."


     Billy ließ den ganzen Nachmittag nicht von sich hören, sowieso war keines der Kinder zu erblicken, aber Tedd bekam gesagt, dass dies normal wäre. Kou zeigte ihm nach dem Essen die Garagen, und darin an die 20 der teuersten Automodelle; den Garten samt Flugplatz, Grillpavillon, und einem kleinen See, der ca. 400 Meter vom Haus entfernt, und selbstverständlich zugefroren war. Auf einem Baum in der Nähe des Sees hing ein altes, kaputtes Baumhaus, das Norio einst für Kou bauen wollte, aber nie dazu gekommen war, es fertig zu stellen. Tedd wollte fragen, ob Kou seinen Kindern später ein Baumhaus gebaut hatte, aber bei dem Gedanken an Billy und seinen Rollstuhl biss er sich auf die Zunge. Ein paar Meter weiter ragte ein kleines hölzernes Kreuz aus der Erde. Kous Kater SonGoku war dort begraben. In einem entfernten Teil des Gartens befand sich die Familiengruft, in der Norios Mutter, sowie ihre Eltern ruhten. Auch Norios vermeintliche Asche hatte dieses Jahr hier gelegen. Tedd fühlte sich immer noch seltsam bei dem Gedanken. Spontan stellte er einen Minischneemann vor die Tür der Grabstätte, wofür er einen heimlichen Kuss von Kou bekam, tief in den Schatten der zugeschneiten Bäume.

 

    Tedd seufzte. Die Treppe, auf der er nun saß, war kalt. Um ihn herum war es still. Was war das hier bloß für ein Zuhause? Weit und breit war niemand zu sehen, jeder kümmerte sich hier wohl ausschließlich um sich selbst. Wo war die Familienidylle, auf die er so eifersüchtig gewesen war?.. Beim Begriff "Familie" überkam ihn plötzlich große Lust, nach Hause zu laufen und mit Ben eine Runde zu zocken.. Anika würde sie mit Glühwein versorgen und alle würden sich zusammen einen Film ansehen.. Nightmare on Elm Street vermutlich..
     Langsam aber sicher leuchtete Tedd ein, wie einsam das Leben in diesem übergroßen Haus war.. und er verstand auch, wieso Kou es begrüßte, es nicht öfters als jeden zweiten Samstag zu besuchen. Aber.. verflucht nochmal, wer kümmerte sich denn um die Kinder?? Dachte denn niemand an sie?
     Er ging die Treppe hoch. Es dauerte eine Weile, bis er die Zimmer auf der ersten Etage inspiziert hatte. Ab und zu erblickte er einige der Bediensteten, die entweder dabei waren, Staub zu wischen, oder Möbel umzustellen. Wirklich etwas zu tun gab es in diesem Haus nicht; alles war picobello aufgeräumt und wenn die Kinder in ihren Zimmern verweilten, dann kam es auch nicht zu einem Saustall außerhalb ihres Reiches.


    Am Ende des leitenden Flures im linken Flügel entdeckte er schließlich 3 Türen nebeneinander, deren Klinken in verschiedenen Farben strahlten. (Sonstige Türklinken im Haus waren vergoldet.) Eine war blau, eine grün und eine violet. Blau war in der Mitte und Tedd hätte sein letztes Hemd dafür verwettet, dass das blaue Zimmer Billys war. Er öffnete jedoch - nach leichtem Zögern - die violette Tür.
     "RAUS!"
     Billys wütende Stimme fegte Tedd aus der Tür wie ein Hurrikan. Die Tür fiel automatisch zu und Tedd blieb völlig verdutzt im Flur stehen. Wieso war Billy in Mikis Zimmer?
     Er öffnete die grüne Tür.
     "ICH SAGTE: RAUS!"
    Erneut Billys Stimme. Tedd verstand gar nichts mehr.. Wie konnte Billy gleichzeitig in zwei Zimmern anwesend sein?? Unfreiwillig kam ihm Versteckte Kamera in den Sinn, wo Leute veräppelt wurden, indem man sie durch geschickt aufgestellte Lautsprecher erschreckt hatte. Nein.. Billy könnte sowas doch niemals.. Oder doch?
     Da er sich nicht getraut hatte, das blaue Zimmer zu betreten, nahm er sich noch einmal die grüne Tür vor; er öffnete sie leise und steckte vorsichtig seinen Kopf ins Zimmer. Ganz und gar überwältigt von dem, was er sah, ließ er die Tür los und starrte wie geistesgestört den gemeinsamen Raum der drei Kinder an.


     Alle drei Türen führten in ein einziges Zimmer, welches die geschätzte Größe eines Fußballfeldes hatte. Zumindest hatte Tedd diesen Eindruck. Die Decke sah aus wie eine Regenbogenwiese. Die längste Wand war zur Hälfte aus doppelt eingelassenem Glas, bruch- und durchblicksicher, wie Tedd später erfuhr. Der Rest der Wände war entweder mit Bildern, oder mit Plüschtieren ausgeschmückt. Der Raum war voll von Spielzeugen jeglicher Art, von Bällen, über Puppen, Schaukeltiere, Eisenbahn, und ganze Lego-Pego-Bauwelten bis zum großen Fernseher und etlichen Spielkonsolen, die in der Ecke des Zimmers lagen. Über den Raum verteilt standen hier 3 Betten, 3 kleine Kindertische und etliche Stühle. In einer Ecke gab es einen Durchgang zum nächsten Zimmer, vermutlich der Ankleideraum; so etwas wie einen Kleiderschrank kannten die Yagis garantiert nicht..
     Die drei Kinder saßen an einem Tisch, der festlich mit buntem (und dennoch hochwertigem) Kindergeschirr gedeckt war. Sie aßen unsichtbaren Kuchen, der mit sichtbaren Smarties dekoriert war und tranken unsichtbaren Tee, den Miki, in der Rolle einer höflichen Gastgeberin, etwas unsicher in die Tassen einschenkte. Billy, in seinem Rollstuhl, hatte ein Buch auf den Knien liegen, kümmerte sich aber nicht besonders darum. Hiro, mit T.J. auf dem Schoß, fragte gerade nach einem Würfel unsichtbaren Zuckers und bekam von Miki, die ununterbrochen um den Tisch hoppelte, die leere Zuckerdose in die Hand gedrückt. (Natürlich war sie nicht leer, sondern voll mit unsichtbaren Zuckerwürfeln.) Dann blieb Miki bei Billy stehen und fragte ihn, ob ihm ihr frischgebackener Kuchen geschmeckt habe. Nachdem Billy mit Ja geantwortet und sich die unsichtbaren Krümel aus dem Mundwinkel gewischt hatte, streichelte sie ihn liebevoll an der Wange und holte ihm einen neuen Kuchen, "wo ea do soooolchn Hunnga hatte"..
     Tedds Herz fühlte sich bei dem Blick auf diese Szene heiß wie die Sonne an. Es zerschmolz förmlich, während seine Sinne die liebevolle Atmosphäre in sich aufsogen, die die Kinder in diesem Augenblick ausstrahlten. Seine Augen füllten sich dabei mit Tränen. Diese Kinder waren zum Teil Milliardenerben, sie besaßen alles, wovon er als Kind geträumt hatte, hatten eine ganze Spielzeugabteilung daheim und ein Haus voller Bediensteten, die ihnen garantiert jeden Wunsch von den Augen ablesen konnten, wenn es darauf ankam. Und sie saßen dennoch an einem kleinen Tisch und unterhielten sich bei einer unsichtbaren, fantasievollen Teeparty, einer der einfachsten und ältesten Kinderbeschäftigungen, seit es die Kinder gibt; und das, obwohl sie sich jederzeit eine edle Schokoladentarte oder hochwertiges Eis aus der Küche bestellen könnten.
     Diese Kinder waren einsam. So einsam, dass es weh tat. Und sie würden wohl noch mehr in Einsamkeit ertrinken, wenn sie sich nicht einen Raum wie diesen teilen würden.. Wer auch immer auf die Idee kam, dieses Prachtzimmer für sie zu gestalten, der war ein Genie.
     Billy bemerkte, dass sie von Tedd angestarrt wurden und sein Gesicht war im Begriff, sich in einer bösen, wütenden Grimasse zu verzerren. Er hielt sich zurück, da ein kleines Mädchen ihn an der Hand packte, nachdem es ebenfalls Tedd gesehen hatte. "Du bist es!", zischte er durch die Zähne in Tedds Richtung. "Ich sagte klar und deutlich: RAUS! Wir wollen von niemandem gestört werden!"
     Tedd nahm die Worte eher als "Verschwinde, du Wichser, oder ich schneide dir die Eier ab" wahr. Als er sah, dass Miki sich etwas ängstlich an Billy gepresst hatte, entschuldigte er sich, wünschte allen noch einen schönen Nachmittag und ließ sie wieder unter sich sein.


     Ein Lächeln spielte um sein Gesicht, als er sein Zimmer ansteuerte. Etwas Ruhe, um einen "Schlachtplan" auszuarbeiten, war jetzt genau das Richtige. Es ärgerte ihn zwar etwas, dass er Kou in mieser Stimmung im Poolraum zurückgelassen hatte, aber wie er Kou kannte, würde er ohnehin bald zu ihm kommen, um seine Werte zu messen. Dann würde er es bei ihm wieder gutmachen.
     Als er die Tür zu seinem Gästezimmer öffnete, erstarrte er erneut, diesmal aus einem völlig anderen Grund.
     Es sah aus, als hätte hier eine Bombe eingeschlagen. Sein Koffer lag kaputt und durchgelöchert auf dem Boden; seine Sachen verstreut im ganzen Zimmer. Jede Unterhose hatte im Schritt ein großes Loch, seine T-Shirts waren mit schwarzen Sprüchen wie "Wikser" oder "Fikker" versehen, aus seinen Socken blieben nur Fetzen übrig. Die Zahnpasta klebte in seinem Kamm, vermischt mit dem ganzen Inhalt seiner Haargeldose. Die Zahnbürste schwamm im Klo. Sein teurer Rasierer befand sich in Einzelteilen in der Badewanne. Sein Rasierwasser war ebenfalls leer, sowie das Mundwasser und sein Parfum letztendlich auch. Als er auch noch seine Halskette, die er gestern Abend ausnahmsweise abgenommen, und heute Morgen in der Hektik auf dem Waschbecken vergessen hatte, kaputt auf den Fliesen im Badezimmer entdeckte, wurde er sauer. Eigentlich war er ja schon beim ersten Blick in das verwüstete Zimmer sauer, aber nun war er richtig wütend. Was war das bloß für ein Kind?? Womit hatte er es denn verdient, so sehr gehasst zu werden??
     Als er seinen Doppelnoten-Anhänger selbst nach 5 Minuten Suche nicht finden konnte, stand er kurz davor, ins Kinderzimmer zu laufen und Billy kräftig durchzurütteln. Später schimpfte er für diesen Gedanken mit sich, aber in diesem Moment vergaß er, wie alt der Verursacher dieses Unheils war.


     "Was ist denn hier passiert?"
     Kou kam herein, mit dem Blutdruckmessgerät in der Hand. Sofort verstand er, was los war. Er rannte aus dem Bad, bereit, seinem Sohn eine ordentliche Lektion zu erteilen. Tedd stoppte ihn, noch bevor er das Gästezimmer verlassen konnte, indem er ihn von hinten umarmte und seinen Kopf an Kous Rücken legte.
     "Lass gut sein", sagte er.
     "Nein!" Kou fauchte.

 

   Tedd drückte ihn noch fester an sich. "Es wird nichts bringen, ihn dafür auszuschimpfen.. oder zu bestrafen. Jedes Mal, wenn du das machst, wird er mich nur mehr hassen.. Ich will das nicht.."

     "Ich kann das nicht mehr ignorieren, Tedd!.. Nicht jetzt und nicht später! Er macht doch sowieso schon, was er will!"
     "Eben!", meinte Tedd. "Er wird eh nur das tun, was ER will.. egal, ob du ihn bestrafst, oder nicht.. Komm.. hilf mir lieber, den Anhänger zu suchen.. und aufzuräumen.."

 

 

    Zähneknirschend tat Kou, was Tedd von ihm verlangte. Er half ihm, die kaputten Kleider einzusammeln und räumte mit ihm das Bad auf. Die zerstörte Kette nahm er an sich, mit dem Versprechen, sie noch heute reparieren zu lassen. Der Anhänger blieb allerdings verschollen; egal wie intensiv beide danach suchten, er war nicht aufzufinden.
     Müde blieb Tedd auf dem Boden sitzen und lehnte sich gegen den Türrahmen. Plötzlich musste er grinsen und als Kou ihn fragend ansah, sagte er: "Es ist schon lustig. Ich weiß noch, wie ICH letztes Jahr DICH auf ähnliche Weise gequält habe."
     Kous verärgerte Miene wurde etwas lockerer. "Das stimmt. Du hast keine Gelegenheit ausgelassen, mir die Wohnung zuzumüllen.. dennoch.. du hast keine meiner Sachen kaputt gemacht. Das hier geht wirklich zu weit."


     "Ich tat es, weil ich sauer auf dich war", sagte Tedd. "Obwohl mir klar war, dass dieser Vertrag, den du mir untergejubelt hast, meine Rettung war. Ohne ihn wäre ich wohl zu einem weiteren.. Sklaven.. von Norio geworden.. Damals habe ich die Sänger, die bei ihm unterschrieben hatten, so bezeichnet.. und verabscheut.." Er fuhr sich mit der Hand durch sein blondes Haar. "Ich habe dich damals gehasst.. und dennoch habe ich nach und nach gelernt, dich zu lieben.. Weil du mich nicht aufgegeben hast.. Ich glaube.. wenn wir das bei Billy genauso machen, dann.. wird sein Hass eines Tages auch verschwinden."
     "Tedd, das ist zwar nett gesagt.. aber das hier ist etwas völlig anderes." Kou stand auf und suchte Tedds Jacke, die zum Glück auf seinem Bett lag, das unberührt blieb, weil es auf einem erhöhten Sockel stand, den Billys Rollstuhl nicht bewältigen konnte.
     Tedd folgte ihm. "Ist es das?", fragte er.
     "Ja. Billys Hass.. oder Ärger.. richtet sich nicht gegen dich als Mensch. Zumal du ihm nichts getan hast.. Er verabscheut ja uns beide.. weil wir eben nicht.. normal - für ihn - sind.. Als Mensch kannst du deine Fehler korrigieren und gutmachen.. Aber du kannst nicht deine Gefühle ändern.. oder?" Kou half Tedd, in die Jacke zu schlüpfen und sah ihm danach tief in die Augen. "So wie ich die meinen auch nicht ändern kann.. geschweige denn will..."

Der gefluppte Teddy auf seiner Brust stimmte ihm zu.
Der gefluppte Teddy auf seiner Brust stimmte ihm zu.

 

    "Wo gehen wir hin?", fragte Tedd, nachdem er sich schweren Herzens von Kous Brust gelöst hatte, als hätte er erst jetzt bemerkt, dass er in einer Jacke steckte.
     "Einkaufen. Du brauchst neue Sachen."
     In der Eingangshalle begegneten sie Miki, die gerade T.J. in den Garten verabschiedet hatte. Sie zuckte etwas zusammen, als Tedd sie anlächelte. Kou ging als erster hinaus und holte den Wagen, einen BMW Xy, mit dem sie auf den verschneiten Straßen keine Probleme haben sollten. Tedd bemerkte, wie Miki einen sehnsüchtigen Blick auf das Auto warf.
     "Wir gehen in die Stadt. Möchtest du mitkommen?", fragte er sie.
   Mikis Augen leuchteten kurz auf, aber als Kou das Fenster auf der Beifahrerseite herunterließ und nach Tedd rief, zog sich das Kind unsicher zurück. Tedd ließ die große Eingangstür offen, so dass Kou, der den Geländewagen direkt davor zum Stillstand brachte, Miki sehen konnte. Sofort verstand er Tedds Vorhaben und winkte Miki zu. Sie hüpfte vor Freude, verschwand hinter einer Ecke und kam kurz darauf mit einem kleinen weißen Mantel und einem Kindersitz angetappt. Sie setzte sich auf den Boden, zog sich kleine Stiefelchen an und ließ sich sogar von Tedd berühren, der ihr in den Wagen half, während Kou per Handy Ayaka darüber informierte, dass er Miki zum Einkaufen mitnahm.


     Das Anwesen der Yagis war gut 15 Kilometer vom nächsten Einkaufscenter entfernt. Tedd, der sich mit einer großen Sonnenbrille und roter Bommelmütze tarnte, suchte sich neue Unterwäsche, T-Shirts und Hygieneartikel aus und fing beinahe einen Streit mit Kou an, der darauf bestand, alles zu bezahlen. Nur die Tatsache, dass Miki, die die meiste Zeit an Kous Bein geheftet war, ihn neugierig anschaute, hinderte ihn daran, Kou zum Teufel zu jagen. Als Kou seine Kreditkarte herausholte, dachte er ernsthaft darüber nach, Miki öfters in seiner Nähe zu behalten, um sinnlose Streits zu vermeiden. Danach waren sie beim Juwelier, wo Kou Tedds kaputte Kette reparieren ließ und Kou entging nicht, dass Tedd die ganze Zeit die Platte mit den Eheringen anstarrte. Kou bot sich an, Tedd einen neuen Anhänger zu kaufen, aber Tedd wollte keinen neuen. Der Anhänger mit der Doppelnote würde schon noch auftauchen..
    Nachdem sie das Juweliergeschäft verlassen hatten, war Tedd für einige Minuten verschollen. Kou und Miki fanden ihn in der Spielzeugabteilung wieder, wo er mit einem übergroßen Plüschteddy kämpfte.. und am verlieren war. Miki lachte herzlich auf, als Tedd zu Boden plumpste und der tat es natürlich erneut und dann noch einmal, nur um das Lächeln auf ihren Lippen zu sehen. Danach kaufte er einen, deutlich kleineren, weißen Teddybär, den Miki immer wieder beäugt hatte, und wollte ihn Miki schenken, aber sie schämte sich offensichtlich, ihn anzunehmen. Sie sah immer wieder ängstlich zu ihrem Vater auf, als würde sie ihn um Erlaubnis fragen, aber Kou beachtete sie nicht. Er war in dem Moment auf einen anderen Vater fixiert, der mit seinem etwa zehnjährigen Sohn ein paar Meter weiter einen Kinderquad ausprobierte. Die beiden lachten und scherzten miteinander und Tedd sah eine traurige Regung in Kous Gesicht. Als der Vater auch noch Ja zum Kauf des Kinderquads sagte und sein Sohn ihn zum Dank umarmte, mit den Worten: "Du bist der beste Papa der Welt!", rannte Kou mit gesenktem Kopf aus dem Spielzeugladen heraus, mit Miki und Tedd, der sich entschieden hatte, zu diesem Thema nichts zu sagen, im Schlepptau.
     Tedd hatte den weißen Teddybär mitgenommen, und als sie in der Passage waren, legte er ihn auf eine Bank, während er sich eine wichtige SMS durchlas und vergaß ihn dort. Miki merkte das, rannte zu der Bank zurück und plötzlich gab es niemanden auf der Welt, der den weißen Teddy von ihr zu trennen vermochte.. Tedd musste dabei lächeln und auch Kou fand schon bald seine gute Laune wieder.
     Da es bereits dämmerte, aßen sie beim Italiener zu Abend und die beiden Männer bemühten sich um ernste Gesichter, während sie Miki beim Spaghetti-Essen zuschauten. Nicht zuletzt, weil sie sie wieder einmal an Norio erinnerte. Norio war einer der wenigen Menschen, die sich selbst am Tisch nichts befehlen ließen; er pfiff auf die Regeln und aß seine Spaghetti aus dem Handgelenk heraus, ohne sie auf der Gabel zu drehen; das wussten sowohl Kou, als auch Tedd. Miki war natürlich noch ein kleines Kind und noch nicht an den richtigen Umgang mit der Gabel gewöhnt, dennoch war Kou fest davon überzeugt, dass sie auch diese "Macke" von ihrem Vater geerbt hatte und sie später ebenso perfektionieren würde, wie er.

*dem Imperator eine Packung Tempo reicht* XD. Wird er wohl noch öfters brauchen..
*dem Imperator eine Packung Tempo reicht* XD. Wird er wohl noch öfters brauchen..

 

   "Miki ist göttlich", meinte Tedd später, als sie im Wagen saßen und Miki in ihrem Kindersitz, mit ihrem neuen Teddy im Arm, eingeschlafen war. "Wie kann ein Kind so verdammt niedlich sein?"
     "Die Gene, nehme ich an", erklang Kous bittere Antwort.
     "Entschuldige." Tedd zog den Kopf zwischen die Schulter und fühlte sich schlecht. "Wirst du.. mir irgendwann sagen, wie.. ?"
     "Wie Ayaka mich betrogen hatte? Ich dachte, das hätte ich dir gestern gesagt." Kou hörte sich an, als wollte er nicht darüber reden. Ein paar Minuten vergingen in der Stille, bis er tief Luft holte. " Vielleicht solltest du sie ja fragen, aber wer weiß, was sie dir erzählen würde.." Er warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel, um sich zu überzeugen, dass Miki schlief. Sie schnarchte sogar etwas..


     "Die Zeit nach Billys Erkrankung war sehr schwierig für uns beide. Ich hatte Ayaka immer wieder vorgeworfen, dass sie schuld daran war und sie stand mir in Nichts nach. Das ging sehr lange so. An einem Abend hatte Billy wirklich miese Laune und wir wussten uns keinen Rat mit ihm. Damals hatten wir noch in unserer großen Wohnung gewohnt, von wo es kein Entkommen gab. Als Billy endlich eingeschlafen war, waren wir so fix und fertig, dass wir uns beide betrunken hatten; nicht viel, aber genug, um unsere.. Wut.. was auch immer.. gemeinsam rauszulassen." Tedd verwunderte es immer wieder, wie Kou es schaffte, bestimmte Wortverbindung zu benutzen, ohne direkt zu sagen, dass er mit seiner Frau geschlafen hatte.. Nur um ihn nicht zu verletzen.. "Danach brach Ayaka in Tränen aus, entschuldigte sich bei mir für alles, was sie mir und auch Billy angetan hatte und bat mich um Verzeihung. Ich war völlig überrascht, als sie mir sagte, dass sie die Zeit mit mir durchaus genießen würde.. und wir hatten uns entschieden, es von vorne zu versuchen. Billy schien zu merken, dass sich zwischen uns etwas geändert hatte, wir kommunizierten auf einer anderen Ebene miteinander, und er wurde etwas ruhiger.
     Das dauerte etwa eine Woche. Ich müsste lügen, um zu behaupten, ich hätte in dieser Woche nicht erlebt, was "glückliche Ehe" bedeutet, auch wenn es kein Vergleich dazu war, wie glücklich ich mich derzeit mit dir fühle.." Tedds Herz hüpfte in seiner Brust heimlich auf und ab. "An DEM Tag schickte sie mir eine SMS, sie hätte Lust auf einen bestimmten Erdbeerkuchen, den sie einst in einer Konditorei gegessen hatte. Sie wusste den Namen der Konditorei nicht mehr, also klapperte ich jedes Geschäft in der Stadt ab, bis ich den Kuchen gefunden hatte. Zuhause angekommen, erwischte ich sie mit Norio im Bett.. Billy schlief in seinem Zimmer, ohne Hilfe schaffte er es nicht in seinen Rollstuhl hinein, also konnten sie es ungestört miteinander treiben.. Ich fühlte mich so verraten, dass ich sie anbrüllen wollte, aber ich brachte es nicht übers Herz, Billy zu wecken. Das Letzte, was ich wollte, war er als Zeuge meines Versagens als Ehemann..
     Danach konnte ich Ayaka einfach nicht mehr ansehen.. Wahrscheinlich war sie es, die mir beigebracht hatte, zu lügen.. was ich derzeit zutiefst bereue.. Für Norio ist das ein Spiel gewesen, wie ich später mitbekommen habe, hatte er sie an dem Tag auf der Straße getroffen und da sie schon immer in ihn verliebt gewesen war, willigte sie auf eine schnelle Nummer ein.. immerhin war es für sie auch etwas, wovon sie schon immer geträumt hatte.. Sie hatte mir die SMS geschickt, um mich fern zu halten und ich Idiot.. hatte nach diesem bescheuerten Kuchen gesucht, um ihr eine Freude zu machen.."


     Tedd bekam erneut Wut auf Ayaka, gleichzeitig aber auch schlechtes Gewissen, als er sich ins Gedächtnis rief, wie oft er Kou herumkommandierte, wenn ihm etwas nicht passte.. Wenn die bestellte Pizza Pilze enthielt, oder die selbstgemachten Pfannkuchen mal nicht so extra-fluffig waren, wie gewohnt.. und der Gedanke an den Schokoladenkuchen, den er am Tag seines Geburtstags vom Balkon aus auf die Straße geworfen hatte, wollte auch nicht verschwinden.. genau wie die Sache mit den Pralinen, die Kou vergessen hatte, aus der Mon-Amour-Konditorei mitzubringen und die danach fatale Folgen für sie hatte. Niemals wieder, schwor er sich in diesem Augenblick, niemals wieder würde er sich bei Kou wegen etwas beschweren, oder etwas Sinnloses von ihm verlangen..
     "Norio sagte mir noch am selben Tag klar und deutlich, dass er froh war, dass mein Timing gepasst hatte", setzte Kou fort. "Er wollte von mir mit meiner Frau gesehen werden.. Und danach.. hatte er sich nie wieder für sie interessiert. Sie wurde schwanger. Nachdem bei der Geburt heraus kam, dass Miki seine Tochter war, hatte ich beschlossen, es ihm nicht zu sagen, bevor er sich bei mir entschuldigte. Ich dachte immer, Mikis Augenfarbe wäre das Einzige, was sie verraten könnte, jetzt sehe ich immer mehr von Norio in ihr. Ich weiß nicht, wie lange wir das noch vor der Familie verbergen können.. Einzig und allein Ayakas Mutter weiß Bescheid, sie half uns, die Sache mit Miki vor dem Rest der Familie geheim zu halten, indem sie bestätigte, dass violette Augen in ihrem Teil der Familie zwar eine Seltenheit, jedoch hin und wieder vorgekommen wären. So konnten wir beide, Ayaka und ich, unsere Gesichter wahren." Kou lachte plötzlich auf. "Weißt du, was lustig ist? Meine eigene Mutter hasst Norio, liebt aber Miki über alles, weil sie glaubt, sie wäre meine Tochter.. Mit Billy hingegen kann sie gar nicht umgehen; gut, wer kann das schon? Allein mein Vater hat ihn im Griff."


     Tedd kam nicht aus dem Staunen heraus. Was war das hier für eine verrückte Familie?? "Aber.. Billy liebt Miki, oder?"
   "Oh ja, das tut er.. Das hast du sicher schon gemerkt. Sie ist seine einzige Seelenverwandte, wenn man das so sagen kann.."
     "Und was ist mit Hiro?" Der Junge ging Tedd nicht aus dem Kopf. "Er hält große Stücke auf dich. Ich hab gehört, du hättest ihn aus einem Waisenhaus gerettet."
    "Du bist kaum einen Tag hier, wie hast du das herausgefunden?" Diesmal war Kou überrascht. "Ja, Hiro wäre dann wohl der Einzige, der in dieser Familie hinter mir steht. Er war ein Problemkind, seine Eltern leben übrigens, wie ich erfahren habe.. Aber sie hatten ihn durch Bekannte in ein Waisenhaus gesteckt, weil sie ihn nicht haben wollten und weil ein Waisenhaus erziehungsmäßig strenger für sie erschien, als ein Kinderheim.. was sagt man dazu?.. Er hatte das Leben dort gehasst, prügelte sich oft.. Ich hatte ihn durch Zufall getroffen und ihn rausgeholt. Ich dachte damals, Billy würde ein Kind in seinem Alter gut tun, als Spielkamerad.. Normalerweise klappt es auch, sie schlafen im selben Zimmer, spielen und lernen zusammen, haben so gut wie gleiche Privilegien.. Aber seit Hiro sich dazu bereit erklärt hat, für Billy als rechte Hand zu fungieren, und ihm zu helfen, wo er kann, nutzt Billy das immer mehr aus.. Ich habe Hiro öfters gesagt, er soll sich das von ihm nicht gefallen lassen, aber er zuckte jedes Mal nur mit den Schultern und sagte, er wäre gern hier.. Da verstehe einer die Kinder.."
     Bei seinem letzten Satz wurde Miki hinten im Wagen wach, also hörte Kou auf zu reden, und Tedd zu fragen. Den Rest der Fahrt über bemühte sich Tedd, seine Gedanken zu sortieren und alles zu bearbeiten, was Kou ihm erzählt hatte. Er hatte das Gefühl, dass diese Familie ihn nie aus dem Staunen bringen würde,  so komplex und verzwickt war das Leben dieser Menschen, zu denen er so sehr gehören wollte.


     Das Erste, was Tedd und Miki sahen, nachdem sie, zurück in der Villa, die Eingangshalle betreten hatten, war Billy, der in seinem Rollstuhl durch die Halle raste. Die Reifen hinterließen hier und da schwarze Spuren auf dem polierten Marmorboden. Er sagte kein Wort zu ihnen, aber Tedd entging nicht, dass er ihn ganz genau beobachtet hatte, um herauszufinden, wie Tedds Reaktion auf die Verwüstung seines Zimmers war. Miki, die von Tedd hereingetragen wurde, zeigte Billy voller Stolz ihren neuen Teddy. Er zeigte sich voller Begeisterung und versprach ihr, für ihn einen Namen zu finden, wofür sie ihn umarmt hatte. Nachdem sie weg rannte, um das Plüschtier auch der Mama zu zeigen, sagte Billy so, dass Tedd ihn hören konnte: "Hässlich." Ob sich das auf den Teddy bezog, oder auf Tedd selbst, konnte Tedd nicht erraten; er wollte sich dadurch aber auch nicht aus der Ruhe bringen lassen.
    Er dachte daran, was er vor einigen Stunden zu Kou gesagt hatte, und war fest entschlossen, es durchzuziehen. Er nahm die Einkaufstüten in die Hand und als er Billy passierte, lächelte er ihn an: "Vielen Dank. Dank dir habe ich viele neue Sachen von deinem Vater bekommen! Mach weiter so! Ich könnte ein neues Handy gebrauchen!"

 

     "Ich wusste es! Du bist nur mit meinem Vater zusammen, weil du sein Geld willst!!", sagte Billy. Er schrie nicht, er hatte seine Stimme gesenkt, damit sie nicht in der Halle zu hören war, sondern nur für Tedd. Tedd ließ es sich nicht anmerken, aber er rechnete Billy hoch an, dass er immer darauf achtete, keinen Fehler zu machen, um seinen Vater nicht zu verraten.
     "Genau. Du hast Recht." Tedd bemühte sich, nicht sarkastisch, sondern aufrichtig zu klingen, um Billy zu verwirren. "Frag ihn am Besten, was für teures Spielzeug ich schon von ihm verlangt habe."
     Billy fuhr mit dem Rollstuhl etwas zurück. "Das brauche ich nicht. Ich weiß noch, wie du meinen Onkel ausgesaugt hast. Die Liste mit deinen Forderungen an Norio war ziemlich lang. Ich weiß ganz genau, was für ein Mensch du bist.. Tedd Jigsaw.." Er sprach seinen Namen wie ein Schimpfwort aus. "Ich habe deinen Prozess ganz genau verfolgt. Wie geht's eigentlich deiner Mutter? In den Nachrichten stand, dass sie sich umbringen wollte."
      Es war sehr anstrengend für Tedd, bei Billys Worten ruhig zu bleiben, gerade bei der Erwähnung von seiner Mutter. Wieso zum Teufel interessierte sich Billy so sehr für ihn? Hatte er ihn etwa ganz genau studiert, nachdem Ayaka ihm erzählt hatte, dass er mit Kou zusammen war? Was waren die Yagis nur für Menschen, wenn sie einem Kind erlaubt hatten, so etwas wie seinen Prozess mitzuverfolgen? Verdammt, Billy war doch noch ein Kind!.. Der Prozess stellte zudem eines der dunklen Kapitel seines Lebens dar, an die Tedd nicht erinnert werden wollte. Die öffentliche Enthüllung seiner traurigen Kindheit, Demütigung und Spott, die er erntete.. sie konnten trotz Freispruch nie wirklich vergessen werden.. Wie könnte ein Kind verstehen, was der Prozess für ihn bedeutete?

     Ein Kind, Tedd.. er ist nur ein Kind!
     Bevor Tedd etwas erwidern konnte, setzte Billy noch einen oben drauf. "Du ekelst mich an. Zuerst mein Onkel und nun mein Vater. Sie waren ja nicht deine einzigen Männer, oder? Machst du dich dann auch an meinen Opa ran? Ihr Schwuchteln gehört in die Hölle!"

    Er fuhr hastig weg, weil Kou gerade in der Tür erschienen war, mit den restlichen Einkaufstüten in der Hand. Der schaute ihm nach und fragte dann Tedd: "Worüber habt ihr gesprochen?"
     Tedd unterdrückte die Tränen, konnte Kou aber nicht ansehen. "Über dich und mich.. wie immer." Er bemühte sich, lässig zu klingen. "Ich bin mir sicher, wenn das so weiter geht, dann.. werden wir.. ganz dicke Freunde.."
     Kou bemerkte wie immer, dass etwas nicht stimmte. Er packte Tedd an der zuckenden Schulter, brachte ihn in Eile in sein Zimmer und schloss ab. Dann nahm er ihn in die Arme und hielt ihn fest, während Tedd in wütende Tränen ausbrach. "Ich.. ich will dein Geld nicht..", stotterte er, während Kou ihm ins Ohr flüsterte, er wisse das, ".. ich will nur dich.. nur dich.. ich hätte.. niemals zu Norio gehen sollen.. wie muss das für ein Kind aussehen?.. zuerst sein Onkel.. und dann du.. kein Wunder, dass er mich so sieht.. Es tut mir leid, dass das alles so kam.. ich hätte niemals.. ich wollte niemals.. ich will nur dich.. nur dich!!.. wie.. soll ich es ihm nur beweisen?"


     Kou hatte Recht. Kou hatte immer Recht.

     Tedd war der Erste, der weinte.

Schere, Stein, Papier  Part 3       <- click!!!


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